Close

SPIELPLATZDESIGNER

Herr Beltzig, brauchen Kinder überhaupt Spielplätze? Sind das nicht Laufställe oder Ghettos?

Brauchen sie nicht. Wir Erwachsene brauchen sie, weil wir Kinder nicht überall spielen lassen wollen. Spielplätze sind oftmals Kinder-Käfig-Haltung. Als erstes sieht man einen Zaun, dahinter verbirgt sich ein Spielplatz. Sonst laufen die Kinder ja weg. Ist der Spielplatz aber interessant, laufen sie nicht weg. Gleichzeitig ist das ein hochkomplexer, sozialer Aufenthaltsplatz. Landschaftsplaner stellen oft einen Sandhaufen und ein paar Geräte hin – Schaukel, Klettergerüst, Rutsche – und denken: Passt. Das sind Symbole dafür, dass sie nicht wissen, was Spielen bedeutet: Zu lernen, eigenverantwortlich an bestimmte Grenzen unseres Körpers zu kommen, soziales Miteinander, Fantasie. Dazu taugt ein Trümmerhaufen, ein rostiges Auto. Spielgeräte sind eigentlich nicht notwendig.

 

Sie machen Antiwerbung für sich. 

Ja, mir wurde schon oft gesagt: Du gräbst Dir Dein eigenes Grab! Ich versuche, möglichst gute Spielplätze zu entwickeln, möglichst gute Geräte – das bleiben aber Krücken, Alternativen für kindgerechte Lebensräume. Denn leider ist die heutige Umwelt alles andere als kinderfreundlich und aufenthaltsförderlich. Überall Straßen. So lange das so ist, baue ich Spielplätze.

 

Welches ist das Spielplatz-Highlight bei Kindern?

Hat das Kind lange gesessen, locken Klettergerüst, Matschbereich oder Wasserspielgeräte. Muss es sich ausruhen, der Sandhaufen oder die Hütte, in der es Geheimnisse austauschen kann, der Stein zum Kreativen träumen, der Busch zum Verstecken oder der Turm, von dem es auf Erwachsene herunterschaut.

 

Und was ist mit dem Beltzig-Karussell?

(lacht) Achja, das…Kinder erleben darin Geschwindigkeit. Der Witz ist, sie können sich nicht festhalten. Ein Fünfjähriges sitzt sicher drin, weil es in den Sitz gedrückt wird. Aber das Achtjährige fällt raus, wenn es zu schnell ist. Er muss die Geschwindigkeit selbst drosseln. 

 

Sind wir zu sicherheitsfanatisch und bauen deshalb langweilige Spielplätze?

Wir sollten überlegen, was sicher ist, was nicht. Mitte der 70er, als ich anfing, kam die Spielplatz-Sicherheitsnorm auf. Da hat man bald festgestellt: Sichere Spielplätze sind gefährlicher: Kindern wird schnell langweilig, also machen sie Blödsinn. Wir brauchen risikoreichere Spielplätze – ohne Mausefallen. Ein Kind darf sich nicht an einem Seil strangulieren oder einen Schritt zu viel machen und abstürzen, sich einklemmen. Es muss Gefahren erkennen lernen. Fallen muss möglich sein, aber mit Fallschutz-Hintergrund. Wippen müssen Stopper haben, es muss Handfreiräume geben. Ich konzipiere gerade einen Spielplatz in Südkorea. Da wollen die Eltern sehr sichere Spielplätze. Die meisten Risiken hat ein Spielplatz aber für Kinder, die überbehütet sind, sich nicht trauen. Du musst fallen, um zu lernen, nicht zu fallen. Durch Sicherheitsmaßnahmen entstehen Unfälle: Kinder verhalten sich wilder, denn sie fühlen sich sicherer.

 

Aber es passieren ja auch immer wieder Unfälle auf Spielplätzen…

Etwa 3500 versicherungskundige Unfälle sind es in Deutschland pro Jahr. Das ist aber kein Drama. Es kann sein, dass ein Kind im Überschwang sein Bein bricht, mit jemand zusammen rennt… Solange es keine bleibenden Schäden sind, ist das ok. Wir wollen doch keine Kinder in Gummizellen. Ein Spielplatz soll nicht sicherer sein als das normale Umfeld des Kindes, denn es soll dort leben lernen. Abenteuer und Gefahr müssen sein. Im häuslichen Umfeld ereignen sich jährlich rund 450.000 gleichwertige Unfälle – etwa weil das Kind in eine Scherbe tritt, von der Treppe fällt, Spülmittel trinkt. Bei uns sind nach wie vor Mütter und Väter ein Sicherheitsrisiko. Ich würde sie gerne von Spielplätzen verbannen. Mütter sagen: Gib das her, lass das, mach dich nicht dreckig. Sie zerstören das Spiel. Väter wollen sagen können: Mein Sohn kann schon rutschen, so hoch klettern… Sie sehen den Wettbewerb. 

 

Was macht zu viel Sicherheit mit Kindern?

Die Kinder werden lebensuntüchtig. Wenn ein Zweijähriger einmal gefallen ist, steigt er die Treppe anders hinunter, als wenn er immer getragen oder an der Hand genommen wurde. Dann wundert man sich über leichtsinnige Zehnjährige. Sie sollten eigentlich selbstsicherndes Verhalten haben, ein Gespür für Gefahr.

 

Sie haben integrative Spielplätze gebaut. Was ist darunter zu verstehen?

Behindertengerechte Spielplätze. Ich habe an einer Norm mitgearbeitet, bin aber aus der Arbeitsgruppe getreten, weil alles auf Rollstuhlfahrer fokussiert war und auf Gleichmacherei. Sämtliche Behinderte sollten alles gleichwertig nutzen können. Das ist illusorisch. Erstens können die meisten Rollstuhlfahrer ihren Rollstuhl zeitweise verlassen und mit Hilfe normale Geräte benutzen. Sie sollen ihren Körper spüren. Zweitens: Der eine ist sehbehindert, der andere trägt eine Fußschiene, der nächste sitzt im Rollstuhl. Für einen Achtjährigen ist die Vierjährige behindert, weil sie nicht groß genug ist, bestimmte Dinge zu machen. Dafür kann der Achtjährige wiederum manches nicht mehr. Kind sein bedeutet immer behindert zu sein. Und dann ist der eine leicht, der andere schwer, der eine ängstlich, der andere emsig und mutig… Es sollten Spielplätze entstehen, die jedem etwas bieten. Möglichst nicht in einer Siedlung, wo der Spielplatz nach ein paar Jahren überholt ist, weil die Kinder herausgewachsen sind. Sondern dort, wo Raum da ist, um ihn vielschichtig anzulegen, wo er sich verändern kann.

 

Gibt es eine eigene Ästhetik für Kinder?

Die Wahrnehmung von Kindern ist anders als die von Erwachsenen, schon allein wegen der niedrigeren Perspektive. Kinder mögen das Kleine, das ihren Proportionen entspricht. Das Angedeutete, Halbabstrakte, der Holzklotz mit zwei Punkten etwa, das „Fantasiefördernde“, kann das Kind oft nicht nachvollziehen. Ein Irrtum: Wir glauben, für Kinder muss alles bunt und grell sein. Stimmt nicht. Die ganze Umwelt ist grell. Da hält die Aufmerksamkeit nicht lange an. 

 

Auf welchem Ihrer Spielplätze würden Sie sich gerade am liebsten austoben?

Je nach Stimmung entweder auf einem Naturspielplatz wie dem in Schrobenhausen oder dem technischen Wasserspielplatz des Deutschen Museums in München.

 

Wie viele Spielplätze haben Sie sich schon ausgedacht? Wo sind sie?

150 bis 200 in mehr als vierzig Jahren. Einige Tausend Projekte habe ich beraten. In England, den USA und den Niederlanden, in Südkorea und der Türkei habe ich neben Deutschland viel gemacht. In der Türkei bin ich nächste Woche wieder.

 

Wie viel kostet ein Designer-Spielplatz?

Ein guter Spielplatz kostet nicht mehr als ein schlechter, verlangt aber mehr Nachdenken, auch Hineindenken in die Umgebung.

 

Wie viel Spielplatz steckt in Ihrer Biografie – oder anders gefragt: Ist sie verantwortlich für Ihren außergewöhnlichen Beruf?

Als Kind war ich hyperaktiv; bin ich immer noch. Ich war Legastheniker, Linkshänder und flog von der Schule, nachdem ich meine Mitarbeit zwei Jahre zuvor beendet hatte. Ich gammelte erst mal rum. Meine Eltern hatten in der Nachkriegszeit andere Probleme. Ich hatte Glück, mit meiner Biografie hätte ich kriminell werden können. Dabei war ich durchaus intelligent. Ich glaube, meine Kreativität beruht auf Legasthenie – ich verdrehe Worte, finde sie nicht, suche einen anderen Ausdruck. Als Kind wollte ich Erfinder werden, ich spielte gerne in Trümmern, dann machte ich eine Schlosserlehre…Später besuchte ich die Werkkunstschule und lernte Industriedesign, wie es heute heißt, gewann Preise. Schließlich landete ich bei Siemens, das machte mich stolz, denn dort gab es damals die angeblich beste Designabteilung Deutschlands. Als meine Frau und ich Kinder bekamen, wollten wir die Welt besser machen. Fangen wir bei den Kindern an, dachten wir, zogen aufs Land und bauten Spielplätze.

 

Machen Sie auch Spielplätze für Erwachsene? 

Es sind mehr Orte, wo man gerne verweilt, etwa für Wohnungslose und Senioren.

 

Sie sind 76. Finden Sie nicht, dass es reicht? Wie wär’s mal mit Rente?

Mein Beruf ist Freude und Hobby. Die Erfolge halten mich jung. Spielen ist für mich Berufung, die Entwürfe mache ich spielerisch. Freunde und Bekannte haben sich auf die Rente gefreut, endlich viel Reisen. Sie fielen in ein Loch, wurden depressiv. Man sollte sich nicht so auf dieses Rentnerdings fixieren. 

 

Info:

Günter Beltzig, 76 und aufgewachsen in Wuppertal, und hat mit der Absolventin der Ulmer Hochschule für Gestaltung (hfg) Iri Beltzig, zwei erwachsene Kinder. Nach seiner Schlosserlehre hat er an einer Werkkunstschule Industriedesign gelernt und in der Designabteilung bei Siemens in München gearbeitet. Dann machte er sich bei Pfaffenhofen an der Ilm als Spielplatzdesigner selbstständig.