LAMMSBRÄU ERKÄMPFT REINHEITSGEBOT FÜR MINERALWASSER
Altes Wasser läuft da bei dem durch den Rachen, der Bier, Limo, Schorle oder Mineralwasser von Neumarkter Lammsbräu trinkt. Es ist mehr als 100 Jahre alt und genau das Wasser, das vielleicht Anfang 1900, vielleicht erst während des 1. Weltkriegs niederregnete, durch die Bodenschichten sickerte und nun in 76 Meter Tiefe ankam. Dort, wo sich weit unten liegende Grundwasserbäche und -seen ihren Weg graben, stetig alles verändern. Wie genau es in der Unterwelt aussieht, weiß keiner. Susanne Horn, die 42-jährige Chefin, steckt die Hände in die Jacke und marschiert zum Brunnenhaus. Eines von fünf Gebäuden auf dem Gelände des Familienunternehmens mitten in Neumarkt. Ein paar Wasserhähne befinden sich an der Wand. Unspektakulär. Sie dreht auf, Wasser läuft ins Glas. Unter ihr ist der verborgene Schacht ins Verborgene.
Uraltes Wasser ist glasklar, gefiltert von viel Gestein. Horn: „Ich finde es faszinierend, wie lange sich die Natur Zeit lässt. Welche Verantwortung wir für unsere Nachfahren haben.“ Wasser ist der Grundrohstoff ihrer Getränke. Und genau so, wie es ist, verkauft es die Firma auch seit 2009 als erstes deutsches Bio-Mineralwasser – ohne hinzugefügtes Magnesium oder Calcium. Das Bio-Kristall-Wasser, noch so eine Idee der jungen Frau, nach der Limo-Einführung? Bio-Label auf die Wasserflasche pappen und für eine 0,75-Liter-Flasche 0,99 Euro verlangen? Noch ein Beitrag zur Bio-Versiegelung? Sie sagt: „Das bayerische Reinheitsgebot legt zwar die Bier-Zutaten fest, nicht aber deren Qualität. Das ist in Zeiten von Agrochemie und hochgradig verarbeiteten Rohstoffen nicht mehr ausreichend, deshalb haben wir unser Ökologisches Reinheitsgebot entwickelt.“
Welches deutsche Mineralwasser ist nicht bio?
Das Landgericht Fürth-Nürnberg hat Lammsbräu versagt, mir „bio“ für sein Wasser zu werben. Kritiker hielten die gesetzlichen Wasserreinheitsvorgaben für ausreichend. Welches deutsche Mineralwasser sei nicht bio? Man schätzt zwei Drittel, viele andere Substanzen sind enthalten. Lammsbräu blieb hartnäckig. Erst hat das Oberlandesgericht, schließlich der Bundesgerichtshof 2012 zu Gunsten der Firma entschieden und strenge Kriterien für Bio-Wasser formuliert.
Viele Brauereien graben Brunnen, die nur drei Meter tief sind. Dieses Wasser ist weniger sauber. Seit den 50ern wird auf Feldern chemisch gedüngt, in jüngster Zeit ist die zunehmende Nitratbelastung der Böden durch Gülle ein Problem. Wenn Wasser zu Leitungswasser – oft ebenfalls oberflächennah gewonnen – aufbereitet wird, hilft oft nur Ozon oder UV-Bestrahlung gegen zahlreiche Substanzen. Horn: „Das Wasser, das übrig bleibt, ist nicht mehr das natürliche, lebendige Wasser, das wir besser nicht verschmutzt hätten.“ Dessen Kristallbilder sich von denen des verarbeiteten unterscheiden, wie man unter der Lupe sehen kann. „Es ist aber noch nicht erforscht, ob die genaue Struktur des Wassers wichtig für Pflanzen oder Tiere ist.“ Unter anderem in Berlin würde Wasser verschiedener Entnahmestellen gemischt, um die Werte einzuhalten, sagt Horn.
Afrikanische Kleinbauern machen es richtig.
„Es geht uns gar nicht so darum, noch ein Bio-Label zu haben. Wir wollen die Wichtigkeit von Wasser ins Bewusstsein rufen, was bei den bisherigen Ökolandbau-Labels nicht im Mittelpunkt stand“, sagt die Chefin. Das will Nestlé auch und „stürmt die Quellen“, wie es die Frankfurter Allgemeine kürzlich nannte. Zapft die Brunnen in verschiedenen Ländern an, die Bewohner sollen sauberes Nestlé-Wasser kaufen. Das Lebensmittel habe seinen Wert. Susanne Horn schüttelt heftig den Kopf. So gerade nicht. Am Ende gehe es um Menschen. Es ist nicht egal, wie wir mit unserem Wasser umgehen. Einmal verschmutzt, wird es nicht per Knopfdruck sauber.“ Landwirtschaft solle ökologischer sein. „Afrikanische Kleinbauern, die Subsistenzwirtschaft betreiben, machen es im Grunde noch richtig.“ Lammsbräu hat nun einen Antrag für ein fünf Quadratkilometer großes Wasserschutzgebiet am Laufen. Nicht jeder Neumarkter ist begeistert. Die, die für die Tiefgarage sind oder die Erdwärmesonden. Horn: „Beim bedenkenlosen Bohren kann die Schutzschicht aber ein Loch bekommen.“
Zur Lammsbräu-Philosophie gehört, nur so viel Wasser abzuzapfen, wie nachfließt – Zahlen konnte die Firma nicht nennen. Auch wenn teils mehr Wasser nötig ist, wenn zum Beispiel Mälzerei und Sudhaus in Betrieb sind „und wir vielleicht an dem Tag auch noch Bio-Mineralwasser abfüllen“, erzählt die Chefin. Sowas kann im Sommer passieren. Dann sind die Biergärten voll und auf rund 250 Festen wird Lammsbräu ausgeschenkt. Manche Getränkefirmen pumpen zu Spitzenzeiten ihre Brunnen bis fast zur Erschöpfung, wenn nichts mehr geht, bohren sie neue. Susanne Horn pirscht über den Hof davon, „Grüß Gott Frau Horn“, grüßen Männer in Latzhose, sie öffnet die Tür eines weiteren Gebäudes. In jedem der fünf Edelstahl-Puffertanks lagern 1500 Hektoliter Wasser, beziehungsweise sind dort ständig im Fluss.
Drei Viertel der Abwärme wird wieder in die Produktion gesteckt.
Produziert wird von Montag bis Donnerstag. Sonntagabend wird der Heizkessel angeschmissen. Erst wird in der angenehm 15 Grad warmen Mälzerei das Braugetreide mit Wasser zum Keimen gebracht, dann kommt es in den Keimkasten, bis Grünmalz entsteht. Die Keimung wird anhand von 100 Grad auf der Darre gestoppt, wo das Malz liegt und karamellisiert. Das wird schließlich geschrotet und gemaischt und in einem Kupferkessel mit heißem Wasser vermischt und gerührt. Dabei löst sich innerhalb von zwei bis vier Stunden die Stärke aus dem Malz im Wasser auf. Im 42 Grad warmen Sudhaus wird die Würze bei 120 Grad gekocht, Hopfen kommt hinzu. Je mehr, desto herber schmeckt das Bier. Brauwasser kühlt nun alles herunter, das Bier wandert in den Gär-Tank und wird mit Hefe versetzt. Zucker verwandelt sich in wenigen Tagen zu Alkohol. Nebenbei entsteht Kohlensäure. In den Lagertanks gärt das Bier nach. Drei Viertel der Abwärme wird wieder in die Produktion gesteckt, die Biere laufen über einen Wärmetauscher.
Erzeuger aus der Region bringen die Zutaten – nicht nur fürs Bier – zu Lammsbräu. Etwa ökologisch angebaute Gerste, Hopfen oder Holunder. „Regionalstrategie“, sagt Horn dazu. Die Firma leistet sich einen Rohstoffbeauftragten. „Immer wieder wollen uns auch Bauern von weiter weg beliefern. Da müssen wir ablehnen und helfen lieber dabei, Abnehmer in deren Nähe zu finden.“ Was?! Die fahren ihre Ware doch selbst her. „Wir wollen organisch wachsen. Stabile Beziehungen brauchen Zeit und Vertrauen.“ Kein neuer Erzeuger soll einen bisherigen ersetzen. Aktuell sind es 165. „Und wir definieren Bio noch regional.“
Wo ist der Fleck in der Oberpfalz, wo die Zitronen, Grapefruits und Orangen wachsen, die in den Limos stecken? Ja, muss die Chefin zugeben. Da wird ein Auge zugedrückt, um den Kunden ein komplettes Sortiment anbieten zu können. Immerhin kommen die Zutaten von Bioland-kontrollierten Öko-Landwirten – etwa von sizilianischen Zitronenbauern. Die Limos tragen ein knalliges Etikett mit Chamäleon und dicken Buchstaben, „NOW“: „New Organic World“. Das Chamäleon haben sich die Mitarbeiter ausgedacht; Es stehe für Verwandlung und nehme so viele Farben wie die Limos an.
Glasflasche oder PET?
Im Sudhaus öffnet eine Brauerin ein kleines Türchen eines großen Kupferbehälters. Hat sich der Malzzucker schon aufgelöst? Währenddessen herrscht auf dem Hof reger Verkehr. 40 bis 60 Sattelschlepper von Biomärkten bringen täglich Leergut zurück und lassen sich bepacken. Ein Gabelstapler flitzt mit einer bestückten Palette aus der Halle. Dort lagern etwa 3000 Hektoliter in Flaschen. Aus Glas. Abgesehen davon, dass sie zerbrechen können, sind sie schwerer beim Transport als PET-Flaschen, die auch Mehrweg sein können. Ist das nachhaltig? Susanne Horn runzelt die Stirn. „Haben wir uns auch überlegt. Deshalb haben wir mit der Uni Augsburg vor drei Jahren untersucht, wann die Ökobilanz kippt. Die Frage war: Gibt es einen Punkt, ab dem PET besser ist?“ Die Energie zur Flaschenerzeugung, Transport und Lebensdauer wurde gegen gerechnet. Gewonnen hat Glas. Es kann 50 Mal wieder befüllt werden, PET 7 bis 10 Mal. Zudem besteht Glas hauptsächlich aus unproblematischem Quarzsand.
Eine grüne Schlange kriecht durch die Abfüllhalle: Leere Flaschen klimpern in Kisten übers kurvige Rollförderband, bis sie sich in der Flaschenwaschmaschine zurückziehen. Unweit wird eine neue, saubere Schlange mit Bier gefüllt, sie bewegt sich eine Ansteigung hoch, dann runter, durch ein Karussell, einen Tunnel, Kronkorken werden aufgedrückt. In einer gläsernen Steuerungskabine stehen drei Männer. „Ohje, da passt was nicht. Ich seh’s an den Blicken“, sagt Horn.
2008 machte der damals 62-jährige Lammsbräu-Chef Dr. Johannes Ehrnsperger Susanne Horn zu seiner Nachfolgerin. Sie, die Externe, war 34, studierte BWLerin, Schwerpunkt Steuern und Finanzen, und hatte zwei Männer – mit einem war sie verheiratet, der andere war drei. Erfahrung hatte sie unter anderem bei Audi gesammelt, die Braubranche war ihr fremd. Als neue Chefin absolvierte sie ein Jahr lang nebenher ein Praktikum in allen Abteilungen. Bis zu acht Wochen müssen das heute alle Neuen machen.
Die Chefin macht ein Jahr lang Praktikum in der eigenen Firma.
Der Anfang war nicht leicht. Zwar wurde sie von den eigenen Leuten akzeptiert, sie kam ja aus der Oberpfalz! Aber in der Branche nicht. „Ein Wochenende verbrachte ich auf einer Veranstaltung des Brauer Verbands. Niemand redete mit mir.“ Dafür hätten danach Mitglieder Ehrnsperger angerufen. Ob es sein muss, dass er eine Frau herschicke? Heute ist das anders. „Jetzt heißt es: Bei dir ist es ja in Ordnung, aber…“ Sie verdreht die Augen. „Ich will, dass die Struktur aufbricht, es hängt nicht am Geschlecht, ob jemand gut ist.“ In der Biobranche habe man es als Frau aber dennoch leichter als in der konventionellen, Gleichberechtigung sei da verankert. Nächste Woche spricht sie auf der Biolandfachtagung zum Thema „Warum gibt es so wenig Betriebsleiterinnen?“ In ihrer Firma will sie Frauen zu Selbstbewusstsein ermutigen.
Mutter ist Susanne Horn auch in der Firma. „Das familiäre Umfeld der Mitarbeiter zu kennen ist mir wichtig. Wenn zum Beispiel jemand frisch Vater geworden ist, frage ich den nicht nach einer Sonderschicht.“ Genauso wenig spricht sie diverse Mitarbeiter montagmorgens an, wenn der Verein verloren hat. „Es gibt Situationen, da ist das weibliche Element entscheidend, Empathie.“ Auch wenn sie zugibt: Männlicher Führungsstil ist schön klar, oft leichter. Trotz allen Einfühlungsvermögens hat letztes Jahr ein Schlosser gekündigt. Er musste zu oft seinen Kollegen vertreten. Nachdenklich sagt die Chefin: „Das kann auch passieren. Wir sind ein kleiner Betrieb, da muss der eine die Arbeit des anderen auffangen.“
Info:
Lammsbräu wird 1628 als Brauereigasthof „Zum Goldenen Lamm“ erstmals urkundlich in Neumarkt erwähnt. Heute beschäftigt das Unternehmen 100 Mitarbeiter. Den Gasthof gibt es nicht mehr. Dr. Franz Ehrnsperger, direkter Nachfahre, holt 2008 Susanne Horn als Geschäftsführerin in die Firma und zieht sich als Inhaber zurück. 2018 wird sein heute 26-jähriger Sohn Johannes, studierter Brauer, übernehmen. Anfangs gemeinsam mit Horn. Der Umsatz lag 2016 bei 23,2 Millionen Euro (rund 87.000 Hektoliter Bier, 115.000 Hektoliter alkoholfreie Getränke, davon: 16.000 Hektoliter Wasser); Die 45 Kriterien für Biowasser der Qualitätsgemeinschaft Biomineralwasser: www.bio-mineralwasser.de; Weitere Firmen, die Bio-Wasser verwenden: Völkel, Christinen, Ensinger, Landpark, Preussen Quelle;