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HOCHDEUTSCH KANN MAN LERNEN – DIALEKT NICHT

In Bolsterlang im Allgäu lernen Allgäuer Hochdeutsch. Auch in Augsburg, Stuttgart, Berlin und Düsseldorf schießen Hochdeutsch-Schmieden aus dem Boden. Tschüss Dialekte?

Die Spitzenplätze der unbeliebtesten Dialekte werden laut Statista-Umfrage angeführt von  Sächsisch, Baierisch, Berlinerisch, Schwäbisch und Thüringisch – die Hit-Liste von, ebenso, Bayerisch, Österreichisch und Norddeutsch, dicht gefolgt von Kölsch. Auch das Allgäuerische rangiere weit oben, sagt Ariane Willikonsky, die in der alten Schule in Bolsterlang bei Oberstdorf im Allgäu Einheimischen Hochdeutsch beibringt. „Viele verbinden mit Allgäuerisch Urlaub. Im Beruf kann die Wirkung ganz anders sein.“ Je hochdeutscher jemand spricht, desto mehr Kompetenz wird ihm zugetraut. Das Bolsterlanger Institut ist ein Ableger des in Stuttgart ansässigen Fon-Instituts, das auch Hochdeutsch-Kurse für Sachsen, Württemberger Schwaben und generell für Bayern im Angebot hat. Hochdeutsch-Schmieden anderer Anbieter gibt es etwa auch für Rheinländer und Berliner.

Ariane Willikonsky lebt gerne im Allgäu. Doch als Logopädin weiß sie auch: „Die Allgäuer öffnen ihren Kiefer zu wenig, das ,r’ ist ihnen nach vorn gerutscht, es mangelt an Klang und Deutlichkeit. So wirken sie schwerer zugänglich und abgewandt, obwohl sie das nicht sind.“ Auch wenn sie Englisch oder Französisch sprächen, höre man den Dialekt durch und damit ein ländliches Image.

„Eigentlich bräuchte man keine Hochdeutsch-Kurse“, sagt sie. „Aber immer mehr Menschen sind beruflich überregional tätig und wollen verstanden werden. Es ist erleichternd, wenn sie sich im Gespräch oder Vortrag nicht auf die Sprache konzentrieren müssen.“ Ein Düsseldorfer Sprachinsitut schreibt: „Dabei geht es nicht darum, die eigene Herkunft und Heimat zu verleugnen. Regionale sprachliche Besonderheiten sind schützenswert und tragen zur Sprachvielfalt bei.“ Im Job sei es aber (…) von Vorteil „dialektfreies Hochdeutsch tadellos zu beherrschen“. 

Hochdeutsch üben beim Kaffee-Bestellen

Markus Zieris, 49, arbeitet als Mediengestalter für die Allgäuer Firma Almpixel und hat einen Kurs in Bolsterlang absolviert. „Ich habe Kunden im Allgäu und in Hamburg, zum Beispiel. Da wird sofort gefragt, wo ich herkomme und ob da alle so sprechen.“ Zieris findet das oft einen netten Gesprächseinstieg, auf seinen Dialekt ist er stolz, aber manchmal findet er: „Es lenkt von der Sache ab.“ Er will deshalb seinen „Allgäuer Slang weniger mit Hochdeutsch mixen“ und übt sogar morgens und abends bei der Bestellung im Stamm-Café.

Laut Willikonsky könne jeder Dialektsprecher schnell Hochdeutsch lernen; erstmal geht es darum, welche Wörter er austauschen muss. „Grüß Gott“ wirke im Norden frömmig, und dann gibt’s da noch die „Viertel vor, Viertel nach und Dreiviertel“-Missverständnisse. Sie übt mit ihren Schülern Zungenbrecher und Vokale. „Das a wird im Hochdeutschen offener gesprochen, im Allgäu ist es eher ein o.“

„Dialektsprecher wirken oft sympathischer.“

Die Trainerin will Dialekte nicht austreiben. „Das geht auch nicht, es ist wie Radfahren. Zwar spricht weniger Dialekt, wer eine zeitlang nicht in der Heimat war. Aber kaum ruft jemand von dort an, wird umgeschaltet. Wir haben immer das Bedürfnis uns anzupassen.“ Dialektsprecher wirkten zudem oft sympathischer, sagt sie und nennt die singenden Rheinländer und Badener. Die meisten Menschen hätten heute aber nur noch eine dialektale Färbung, vor allem in Städten sprechen Kinder Hochdeutsch – über ein mögliches Schulfach „Mundart“ wird immer wieder diskutiert. Wissenschaftlicher Konsens ist längst, dass Dialektkinder sprachlich vergleichbar sind mit mehrsprachig aufwachsenden. Wenn sie in der Schule auch Hochdeutsch lernten. Sie verfügen in der Mundart um einen bis zu drei Mal größeren Wortschaft als im Standarddeutsch und wechseln, je nach  Adressat, die Sprache. Umgekehrt, sei es fast unmöglich, einen Dialekt später zu lernen. „Das hört sich immer peinlich-bemüht an. Es gibt zu viele Regeln.“

Übrigens: Für die Pflege des Schwäbischen setzt sich ein Förderverein ein. Ähnliche Vereine gibt es in Schleswig-Holstein und Bremen. 2000 historische Tonaufnahmen aus 500 Orten Baden-Württembergs werden gerade gespeichert. Sie sollen künftig wie der Bayerische Sprachatlas im Internet abrufbar sein.