ERNTEN AUF ZWEI ETAGEN
Ein Agrophotovoltaik-Pilotprojekt zeigt, dass 60 Prozent mehr Effizienz auf dem Feld möglich ist. Hat sich die Tank-oder-Teller-Diskussion bald erledigt?
Unweit von Überlingen am Bodensee, weit aber von der nächsten zweispurigen Straße entfernt, in einem von Eiszeit-Moränen geformten Tal, hocken ein paar Häuschen, Ställe und eine Käserei beieinander. Hühner und Hunde flanieren dazwischen, am Ortseingang Schafe. Zudem leben 50 Milchkühe mit ihren Kälbern, 500 Schweine sowie fünf Familien mit einigen Kindern hier – komplett von der Landwirtschaft; biodynamisch werden 65 Hektar Dauergrünland und rund 100 Hektar Acker nach den strengen Demeter-Richtlinien mit wechselnden Fruchtfolgen bewirtschaftet. Zwei Millionen Jahresumsatz machte die Hofgemeinschaft vergangenes Jahr, sagt der 62-jährige Thomas Schmid: „Manch Mittelständler muss sich anstrengen, um so ein Volumen hin zu bekommen.“ Vier Wochen bevor Tschernobyl in die Luft flog, im Jahr 1986, zog der studierte Agrarwissenschaftler mit zwei weiteren, idealistischen „wilden Typen“, wie er sagt, an diesen Fleck; um im Kreislauf der Natur zu wirtschaften, nicht jeder für sich. Gemeinsam. Gute Luft, peace and harmony… Bullerbü-Romantik.
Und dann steht da, kurz vor dem Ortsschild mit der Aufschrift „Heggelbach“, hinter ein paar Büschen ein überdimensionales Carport auf dem Feld. Verstecken die Ökoaussteiger darunter ihre Daimler? Nein, darunter wachsen Klee, Weizen, Sellerie und Kartoffeln. Schmid: „Futter, Getreide, Gemüse und Hackfrüchte“ – jede Feldfrucht auf einer Bahn und stellvertretend für viele andere Sorten. Daneben, unter freiem Himmel, nochmal dieselben Früchte zum Vergleich. Der Mähdrescher tourt unter dem Pseudo-Carport herum, um zu säen, düngen und ernten. Letztes Jahr wurde die erste Ernte eingefahren.
Heggelbach – die wahr gewordene Utopie einer Landwirtschaft, die im Einklang mit der Natur funktioniert und gleichzeitig wirtschaftlich ist? Schmid: „Vom ersten Tag an war für uns klar: Niemand soll einem zweiten Job nachgehen müssen und wir beuten die Natur nicht aus.“ Also haben sie in ihrem Nest den Kreislaufgedanken stets konsequent weiter gedacht. Auch die Energie fürs Elektroauto, die Käserei, die Gemüse-Kühlräume, die Ferienwohnungen und den Privatverbrauch sollte selbst gemacht sein.
Im Jahr 2018 heißt das: Eine 720 Module große Agrophotovoltaik-Anlage (APV) teilt sich den Acker mit Nahrungsmitteln und beweist, dass sich Nachhaltigkeit und Hightech nicht im Wege stehen müssen: Am Boden wird Nahrung für Mensch und Tier geerntet, eine Etage höher Sonnenenergie. In fünf Metern Höhe tragen Stahlpfeiler Solarmodule. Sie sind in Reihen angeordnet, sodass es dazwischen auf den Acker regnen kann. „APV-RESOLA“ (Agrophotvoltaik-Ressourceneffiziente Landnutzung) heißt das auf vier Jahre angelegte Pilotprojekt, für das das Freiburger Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) die Hofgemeinschaft auserkoren hat. Stephan Schindele vom ISE sagt: „Es geht darum, fruchtbare Böden zu erhalten. Deshalb haben wir uns einen Demeterhof ausgesucht. Dort sind die Qualitätskriterien sehr hoch.“ Weltweit zum ersten Mal werden damit an einer APV-Anlage alle Faktoren gleichwertig und unter Realbedingungen untersucht: Wirtschaftlichkeit, Technologie, Ökologie und gesellschaftliche Akzeptanz. Klappt die „harmonische Doppelnutzung“, ist sie überhaupt sinnvoll? Schmid: „Wir einigten uns darauf, dass aus landwirtschaftlicher Sicht 80 Prozent des üblichen Ertrags ein Erfolg wären, 50 Prozent ein Misserfolg.“
„Für uns war klar: Da müssen wir mitmachen“, sagt der Landwirt. Früher bauten sie Raps an und pressten ihn zu Öl als Sprit für den Schlepper. „Es war aber ineffizient auf biologischem Highlevel. Das Öl war im Tank 80 Cent Wert, in der Flasche 4,50 Euro.“ 2005 kam die erste 500-KW-Solaranlage aufs Dach, drei Jahre später bescherte ein Holzvergaser 350.000 Kilowattstunden Strom und Wärme. 2009 gab’s den Deutschen Solarpreis – und Heggelbach war bekannt. Für das Pilotprojekt setzten die Bauern betonfreie Fundamente durch, die bei Bedarf schnell und rückstandsfrei zurück gebaut werden können. Sogenannte Spinnanker graben sich nun wie Wurzeln in den Boden.
Die APV-Technologie ist bereits 1981 vom Gründer des Freiburger Fraunhofer Instituts, Prof. Dr. Adolf Goetzberger, formuliert worden. Damals wurde er noch als Spinner abgetan, wie Schindele erzählt. Solarzellen waren lediglich in Satelliten und Taschenrechner zu finden. Die Technik ist in der Zwischenzeit auf der ganzen Welt realisiert worden; unter anderem in China im Maßstab von tausenden Hektar, kürzlich entstand eine Anlage über einem Fischteich. In Deutschland gibt es weitere APV-Forschungsanlagen an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden. APV könnte das Potenzial haben, einen Konflikt zu entschärfen, der gerade in dicht besiedelten Ländern dauerschwelt: Acker für Lebensmittel oder Energie? In Deutschland werden aktuell täglich 69 Hektar versiegelt oder verbraucht – was einer Größe von 98 Fußballplätzen entspricht; Die Bundesregierung hat in ihrer Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie 30 Hektar täglich ab 2030 als Ziel formuliert. Die Städte verdichten eifrig nach, die Leute leben immer näher beieinander und haben weniger luftige Freiräume. Wie Hennen in Legebatterien.
Das Dilemma
Es ist ein Dilemma des modernen Menschen. Einerseits braucht er zunehmend Strom für seine Alltagsgeräte, andererseits findet er es nicht gut, wenn Flächen, auf denen Nahrungsmittel wachsen könnten, mit Solarpanels überzogen sind. Einerseits hat er Mitleid mit jammernden Bauern, versteht, dass sie die Chance ergreifen, nicht nur Land- sondern auch Energiewirte zu sein; andererseits sollen sie die Natur bitteschön nach Natur aussehen lassen. 16 Prozent des deutschen Solarstroms erzeugten Landwirte, drei Mal so viel wie die großen Energieunternehmen. Aktuell gibt’s aber nur noch Einspeisevergütungen für Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA) in benachteiligten Gebieten, entlang von Schienen, Autobahnen und auf schlechten Böden. Um den Landnutzungskonflikt zu entschärfen. Gleichzeitig sinken die Kosten für die Anlagen kontinuierlich. Experten sind sich einig, in ein paar Jahren werden sie auch ohne finanzielle Förderung durchs Erneuerbares Energien Gesetz (EEG) wirtschaftlich sein. Das wird die Konkurrenz zwischen Energie- und Landwirtschaft zusätzlich schüren, Äcker werden noch kostbarer und die Pachtpreise steigen.
28 Grad. An diesem Tag im August knallt die Sonne barrierefrei auf die Solarmodule in Heggelbach. Am Ende des heutigen Tages wird die Hofgemeinschaft mehr als 1100 Kilowattstunden geerntet haben. Schmid: „Das ist gut, wir brauchen gerade viel Strom, um die neuen Kartoffeln zu kühlen.“ Möglichst viel wollen sie selbst verbrauchen, denn für die Einspeisung ins Netz gibt es kaum noch Förderungen und der Preis ist niedrig. Im Sommer deckt die Anlage fast den gesamten Bedarf der Gemeinschaft, im Winter stellt sie Strom meist zu spät zur Verfügung. Der Eigenverbrauch liegt derzeit bei 40 Prozent; die Heggelbacher wollen ihn auf bis zu 70 Prozent steigern, indem sie ihren Verbrauch optimieren; und anhand der neuen 150-KW-Batterie. Bisher nahmen die Elektrizitätswerke Schönau bei Lastspitzen den Überschuss ab. Zu Spitzenzeiten lieferten die Module im ersten Betriebsjahr beinahe 1300 Kilowattstunden – mehr als ein Drittel über dem deutschlandweiten Durchschnitt. Ingesamt kamen fast 250.000 Kilowattstunden zusammen.
Landwirt Schmid: „Wir waren wirklich überrascht. Im Vergleich zur unbedachten Fläche hatten wir zwar weniger Ertrag durch die Verschattung, aber es waren nur 15 bis 18 Prozent weniger als üblich. Klee wuchs sogar schneller.“ Agrarwissenschaftlerin Prof. Petra Högy von der Uni Hohenheim bestätigt: „Alle vier Kulturen konnten zwar gute und vermarktungsfähige, allerdings im Vergleich zur Freilandfläche weniger hohe, Erträge erzielen.“ Die APV-Fläche und die Vergleichsfläche wurden gleichzeitig abgeerntet, „was für die Pflanzen der APV-Fläche teilweise zu früh war. Normalerweise hätte man Sellerie oder Kartoffeln noch zwei Wochen Reifezeit gegeben“. Mit der Gesamtbilanz waren die Landwirte mehr als zufrieden. „Die ging durch die Decke“, sagt Schmid, und Solarexperte Stephan Schindele fügt hinzu: „Die Flächennutzungseffizienz wurde um 60 Prozent erhöht.“
Das gute Ergebnis hat nicht nur mit dem Sonnen verwöhnten Standort im Süden Deutschlands zu tun, sondern auch mit den sogenannten bifazialen Solarmodulen, die das Fraunhofer-Institut fürs Projekt nutzt. Schindele: „Diese halbtransparenten Glas-Glas-Module sind in großen Abständen aufgeständert, damit die Nutzpflanzen darunter gleichmäßig mindestens 60 Prozent der für die Photosynthese relevanten Strahlung abbekommen.“ Auf ihrer Unterseite wandeln sie Licht um – etwa das vom Schnee reflektierte – und liefern so im Winter bis zu 25 Prozent mehr Strom als gewöhnliche Module. Perfekt: ein wolkenfreier Wintertag. Landwirte können so auch um diese Jahreszeit Wertschöpfung auf dem Feld generieren.
Verschandelt APV die Landschaft?
Die Bodensee-Gegend ist geprägt von sanften Hügeln und Obstplantagen, durch die Touristen radeln und die beneiden, die hier wohnen. Das grün regierte Baden-Württemberg setzt alles daran, mehr „grüne“ Energie zu gewinnen. Die Bundesregierung lag 2017 bei rund 33 Prozent, visiert bis 2020 für Deutschland 35 Prozent und bis 2050 sogar 80 Prozent an. Baden-Württemberg lag vergangenes Jahr bei 27,5 Prozent. Trotzdem sind Windräder, Solar- oder Biogasanlagen nicht immer gerne gesehen in der Bevölkerung.
Das Institut für Technikfolgenabschätzung am Karlsruher Institut für Technologie hat Bürger-Werkstätten begleitend zum Pilotprojekt durchgeführt. Nach manch anfänglicher Skepsis überzeugte das Konzept die meisten wegen der Doppelnutzung. Werden APV-Anlagen in Zukunft allerdings irgendwo installiert, sollten den Teilnehmern zufolge die Rahmenbedingungen klar festgelegt werden. Alles im Einklang mit Natur, Gesellschaft und Landwirt – bloß keine überdachten Landschaften oder Landwirte, die die Nahrungsmittelproduktion unter den Modulen vernachlässigen. Landwirt Schmid: „Nachdem unsere Anlage aufgebaut war, schlug die Stimmung ins Positive um. Es ist eine Frage der Dimension und man muss überlegen, wo man eine Anlage hinsetzt.“ An Stellen, die nicht auf dem Präsentierteller liegen. „Und“, fügt er hinzu: „Die mit Hagelnetzen überzogenen Obstplantagen sind auch nicht gerade schön.“
In Zukunft vielleicht unter Solarfolie
Agrophotovoltaik scheint verheißungsvoll, um Flächen effizienter zu nutzen und den Energiemix zu erweitern. Agrarwissenschaftlerin Prof. Petra Högy sagt allerdings: „Es sind mehrere Praxisjahre und Untersuchungen mit anderen Kulturen sinnvoll, um eindeutige Aussagen treffen zu können.“ Die Wissenschaftler beschäftigen sich bereits mit der Frage, wie sich die Technik auf den Obst-, Beeren-, Wein- und Hopfenanbau übertragen lässt. Schindele: „Zur Anpassung an die Klimaerhitzung werden viele Sonderkulturen bereits heute unter Folie angebaut, die wir durch organische Photovoltaik-Folie ersetzen könnten.“ Folie, die zusätzlich Solarstrom erzeugt.“
Doch nicht nur in Deutschland sondern auch in trockenen Klimazonen könnte APV punkten. Stephan Schindele sagt: „Wir haben Anfragen aus der Region Arabische Halbinsel. Dort muss die meiste Nahrung für die Bevölkerung importiert werden, deshalb soll Geld in die Hand genommen werden, um die Wüste zu begrünen.“ Agrophotovotaik spendet dann Pflanzen Schatten, liefert aber auch Energie, um Grundwasser aufzubereiten und die landwirtschaftlichen Produkte gleich zu verarbeiten. Davon könnten unter anderem viele Schwellenländer profitieren; „Und abgelegene Dörfer dezentral noch ihren eigenen Strom produzieren“, argumentiert der Solarexperte. So wie die Heggelbacher – in ihrem versteckten Bullerbü in Süddeutschland.
Info:
Seit 1961 ist die weltweite Ackerfläche pro Kopf um rund 46 Prozent gesunken. Mehr Menschen, mehr Wohlstand, mehr Fleisch erhöhen den Druck auf die Ressource „Boden“. Mit 0,15 Hektar pro Kopf verfügt Deutschland im internationalen Vergleich über wenig Acker zur Nahrungsmittelproduktion. Im Verhältnis zur Europäischen Union, die in den vergangenen 50 Jahren rund 33 Prozent an Ackerfläche pro Kopf verloren hat, waren es dort aber nur etwa 13 Prozent. Jeder Hektar Acker, der hierzulande wegfällt, bedarf jedoch einer größeren Fläche anderswo, um die gleiche Nahrungsmenge zu erzeugen. Denn deutsche Böden sind überdurchschnittlich ertragreich.