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EIN STÜCK VON LISA

Lisa grast hier, Lisa grast dort, Lisa turtelt mit dem Bullen, Lisa drängt eine andere Kuh weg, Lisa entdeckt Landwirt Knobel – Vorsicht Hang! – und läuft zu ihm. Die Wiese liegt etliche Serpentinen über Freiburg: Den Hausberg Schauinsland hoch, Blick nach Frankreich, runter ins Münstertal, dann den Berg Belchen rauf auf 1414 Meter. Dort bürstet an diesem Tag der Wind Lisas braun-beiges Fell, Glocken bimmeln an Hälsen, sonst: Ruhe. 25 Mutterkühe heißen in dieser Herde Lisa. Die 24 Töchter auch. „Einfach ein schöner Name“, sagt der 40-jährige Landwirt Manfred Knobel. Massenhafte Anonymität? Gleichberechtigung? Knobel ist einer, der im Winter um 2 Uhr zu seinem 600 Meter entfernten Stall fährt. Eine Kuh könnte Geburtshilfe brauchen. „Da entwickelt sich eine Beziehung. Es tut weh, wenn ich sie zum Schlachten bringe.“ Bis zu 20, meist 13, Jahre haben Mutterkühe bei ihm. Woanders fünf. Bei den Kälbern ist das anders…

Heute ist Besuch da. Moritz Vohrer, 35, in Jeans und Karo-Hemd, bemüht sich, eine der Juniorinnen-Lisas für seine Internetplattform Cowfunding zu fotografieren. Das Shooting dauert, ständig guckt sie weg. Ahnt sie, dass der Fremde ihr Foto online stellen wird? Dass sie und ihr Bauer ein Profil bekommen. Dass sie mit ihren 20 Monaten in einer digitalen Verkaufstheke präsentiert werden soll – so, wie sie hier steht, abwechselnd Gras frisst und sich von Knobel die sensiblen Hörner streicheln lässt? Cowfunding-Kunden können ihrem Essen vorher in die Augen schauen, aussuchen, welches Tier sie auf dem Teller haben wollen. Vier Bauern verkaufen gerade Rinder, Bullen und Schafe.

Will man das sehen? Moriz Vohrer, der seit diesem Jahr die Plattform betreibt, sagt: „Manchen ist das tatsächlich zu viel. Andere schätzen’s.“ Er hat Forst- und Umweltwissenschaften studiert und arbeitet hauptberuflich für eine Freiburger Nichtregierungsorganisation. Vor zwei Jahren übernahm er den Hof der Eltern: ein paar Schafe, dreieinhalb Hektar Wiese und zehn Hektar Wald. Wie sein Vater führt er ihn im Nebenerwerb, lebt dort mit Frau und Kindern. Davon zu leben wäre unmöglich, sagt er. Wollte er auch nicht. Sein Unternehmerherz schlägt zu laut und so sehr er die Natur genießt, so sehr juckt es ihn, in den Zug zu steigen, um sich mit Gründern in ganz Deutschland zu treffen.

Er selbst aber ist exemplarisch für viele Landwirte der Bundesrepublik. Insbesondere im Schwarzwald. Vohrer: „Vermehrt werden die kleinen Höfe im Nebenerwerb betrieben, mit einem Stundenlohn von drei bis vier Euro. Im Südschwarzwald erschweren Steilhänge und Bergstraßen die Arbeit.“ Gleichzeitig erhalten diese Bauern den Schwarzwald so, wie er heute aussieht. Gemeinden verpachten Flächen für einen Symboleuro. Vohrer: „Kühe und Ziegen sind günstigere Rasenmäher als Maschinen.“

Konsument und Erzeuger wurden voneinander getrennt.

Solche Landwirte will der Gründer mit Freiburgern zusammen bringen. Fünf Landwirte und 160 Fleischesser machen schon mit, mehr als eine halbe Tonne Fleisch hat Cowfunding vermarktet. Vielen Kleinbauern fehlten Zeit, Lust und Erfahrung, sich um Direktvermarktung zu kümmern, schon gar nicht via Internet. Im Grunde ist das Konzept aber alter Wein in neuen Fässern. Früher war’s normal: Ein Landwirt schlachtete und die Leute im Dorf holten das Fleisch. „Stimmt, allerdings gab’s früher kein Internet und in den letzten 60 Jahren haben die Supermärkte ihren Siegeszug angetreten. Konsument und Erzeuger wurden voneinander getrennt. In manchen Wertschöpfungsketten sind so viele Händler zwischengeschaltet, dass selbst Hersteller nicht mehr wissen, woher die Bestandteile ihrer Produkte kommen.“ Der Verbraucher wolle Transparenz. 

Demnächst wird also jemand am Computer sitzen und, klick, ein Fleischpaket von Lisa bestellen: in S, M oder L; von 3,25 bis 10 Kilo für 59 bis 89 Euro. Erst wenn sie komplett verkauft ist – den Fortschritt kann er an einem Ladebalken online mitverfolgen – kommt sie zum Schlachter. Dann muss Lisa zwei Wochen abhängen und sie kann portionsweise bei einem der drei Freiburger Stadt-Land-Paten abgeholt werden. Bei Gastronomen, die ihre Gefriertruhe anbieten.

Immer sind es Mischungen: Steak, Filet, Rouladen, Hack… Vohrer: „Bei uns gibt’s keine Edelpakete. Es soll weniger weggeschmissen werden und der Verbraucher sehen, was am Tier dran ist.“ Dem 2014 unter anderem von Heinrich-Böll-Stiftung und Bund für Umwelt und Naturschutz erstellten Fleischatlas zufolge isst der Durchschnittsdeutsche im Laufe seines Lebens 4 Rinder, 46 Schweine und 945 Hühner. Die weltweit fünftgrößte Schlachterei steht unweit des nordrhein-westfälischen Gütersloh: Bei Tönnies werden rund 18 Millionen Tiere im Jahr geschlachtet. In deutschen Ställen müssten aber genau genommen Rinder, Schweine und Hühner ohne Bauch, Augen, Zunge, Herz und Hirn stehen. All das wird oft verschmäht. Filet ist billig und wir haben gelernt, dass mageres Fleisch gesünder ist. Was wir nicht essen, wird etwa in afrikanische Länder geschippert. Mit Folgen für den dortigen Markt.

Anders bei Cowfunding. Erst wenn die Nachfrage groß genug ist, wird geschlachtet. Doch wie will Vohrer das ganze Tier loskriegen? „Klar, Innereien schmecken nicht jedem. Aber oft ist es nur eine Frage der Zubereitung. Aus Suppenfleisch kann man kräftige Brühen machen, Herz und Hirn hat jedes Tier eh nur einmal. Hack mögen die Deutschen.“

Die Plattform könnte Manfred Knobel eigentlich Wurst sein. 15 Rinder hat er dieses Jahr im nahegelegenen Schlachthaus schlachten und vom Metzger in seiner eigenen Wurstküche verwursten lassen. Die Kunden kaufen direkt im Laden des 350 Jahre alten Hofs mit dem typisch überbordenden Schwarzwaldhaus-Dach. Knobel ist einer der größten Bauern der Gegend mit 110 Hektar, mehr als 60 Hinterwäldern – einer alten regionalen Rasse -, nochmal so vielen Charolais-Rindern, einem Limousin-, einem Charolais- und einem Hinterwälder-Bullen: Max I., Max II. und Max III. „Ich will das Konzept ausprobieren: Es ist eine Chance für die Bauern. Vielleicht machen es mir bald welche nach.“

Es gibt weitere Plattformen, auf denen man online Landwirten Fleisch abkaufen kann. Crowdbutching heißt das Phänomen. Abgeguckt? Vohrer: „Natürlich vergleicht man, ,Meine kleine Farm’ finde ich richtig gut, ,Kauf ne Kuh’ verschickt deutschlandweit. Wir wollen aber Regionalität.“ Ist auch angesagt… „Lebensmittel, die im Umkreis produziert werden können, über die Weltmeere zu transportieren ist ökologischer und sozialer Unsinn.“ Es sollen deshalb in anderen Gegenden Cowfunding-Kreisläufe entstehen. Und weil sich die Plattform tragen muss. Momentan bekommen er und seine zwei Teilzeitmitarbeiter 30 Prozent Provision pro Kilo, und Geld aus Fördertöpfen. Von der Unesco kürzlich 25.000 Euro. 

Bio ist keine Voraussetzung.

Einen Haken müssen die bewussten Fleischesser hinnehmen: Bio ist keine Voraussetzung, um bei Cowfunding mitzumachen. Da ist der Jungunternehmer pragmatisch: „Eine Zertifizierung kostet Geld und Zeit. Kleinbauern wollen sich das oft nicht antun. Früher arbeitete ich selbst als Zertifizierer und kann sagen, dass sie alle biokonform arbeiten.“ 

Knobel bewirtschaftet seinen Hof sowieso nach Naturland-Richtlinien. Er verzichtet auf Gentechnik, die Kälber dürfen während der neunmonatigen Stillzeit bei der Mutter bleiben und während des Winters laufen die Tiere im Stall herum, wo sie überwiegend mit eigener Silage und Heu gefüttert werden. Von Mai bis November verbringt jeder Bulle mit seiner Großfamilie in der Sommerfrische. „Er soll dann eine nach der anderen decken.“ 

Max III. hat seinen Job gut gemacht, Knobel ist hochzufrieden. So viele hübsche Lisas hier. So viel leckeres Fleisch.

 

Weitere Plattformen zum Fleisch kaufen:

www.kaufnekuh.de;
www.meinekleinefarm.org;
www.mycow.de;
www.biosphaerenkontor.de;
www.genusshandwerker.de;