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DER METZGER, DER KEIN FLEISCH MEHR ISST

Herr Spahn, Sie verkaufen Wurst und Fleisch in Ihrer Metzgerei – würden beides aber selbst nicht essen. Sie sind doch unglaubwürdig.

SPAHN:  Finde ich nicht. Es stimmt, ich als Mensch mit veganer Ernährung verkaufe Bio-Fleisch und -Wurst. Mir ist der Kontakt zu den Fleischessern wichtig: Auf Facebook gibt es viele vegane Gruppen, die sich selbst beweihräuchern, kritische Fleischesser werden rausgeekelt. Offene Gespräche wären besser. Ziel muss sein: Weg  von Massentierhaltung und subventioniertem Billigfleisch. Aber man kann nicht von heute auf morgen die Welt retten.  Der Mensch hat lange gebraucht, um Fleischesser zu werden, hat gemerkt, dass er so länger satt bleibt. Heute brauchen wir weniger Energie und haben viel Auswahl an energiereicher, pflanzlicher Nahrung. Die Veränderung weg vom Fleisch wird  dauern. Es ist Genuss- und Suchtmittel, Körper und Geist sind darauf hin erzogen. Ich war selbst abhängig, aß es täglich. Heute habe ich als veganer Metzger 8000 Facebook-Fans.

Sie verkaufen seit 2013 auch vegane Wurst, Schnitzel, Würstchen und mehr. Wie reagierte die Kundschaft?

Ich habe viel Kritik eingesteckt – ein Spagat zwischen Himmel und Hölle. Schon 2000, mit der Umstellung auf Bio, habe ich fast den kompletten Kundenstamm verloren, die Produkte kosteten viel  mehr. Am Ende des Monats wusste ich manchmal nicht, wie ich Rechnungen, Miete und Personal bezahlen sollte. Heute kommen  vor allem Singles und junge Familien in meine Metzgerei – auch von weiter her. Menschen, die sich bewusst mit ihren Essgewohnheiten auseinander setzen. 

Wie haben Sie das geschafft?

Nach einem Jahr schrieb der Laden wieder schwarze Zahlen. Auf meiner Homepage, auf Facebook und in Online-Shops habe ich geworben. Die Mitglieder der Fleischerinnung fanden damals schon bei der Bioumstellung, dass ich spinne, und als ich dann mit Veganem angefangen habe… Das Metzgereisterben hält weiter an. Bald werden die Supermärkte alle geschluckt haben. Auch die auf dem Land. Man muss die Zukunft erkennen, sich eine Nische suchen und eventuell Online-Läden eröffnen. Wir haben mehr als 2000 eingetragene, vegane Onlinekunden.

Wann kam Ihr veganer Sinneswandel?

Das war 2013. Ich wog 135 Kilogramm, litt an Bluthochdruck, erhöhtem Cholesterin und bin eines Morgens so durstig aufgewacht, dass ich dachte, ich müsste die Wasserleitung leer trinken. Mein Zuckerwert lag nüchtern über 400, Folge von Typ II, Diabetes. Mein Arzt prophezeite mir verkalkte Arterien, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Es musste sich schnell etwas ändern. Damals entwickelte sich in Frankfurt eine vegane Szene und ein Freund zeigte mir den Film „Earthlings“, der bestialische Schlachtmethoden thematisiert. Ich stellte meine Ernährung auf vegan um, verzichtete also auch auf Eier, Milch, Käse und Honig. Ich nahm ab wie ein Abreißkalender! Ein halbes Jahr später hatte ich mein Cholesterin stark reduziert und meinen Blutdruck normalisiert. Ich entdeckte neue Geschmäcker, trainierte mein Hirn um, brauchte kein Insulin mehr, war fitter.

Fleisch und Wurst machen also süchtig. Sind Ihre Kunden Junkies?

Gelegenheitsjunkies. Sie ernähren sich bewusst und kaufen ihr Fleisch manchmal nur alle zwei Wochen. 

Sie sind Geschäftsmann… Diese Kunden ruinieren sie!

Ich bin Geschäftsmann  und  Idealist, versuche mit der Metzgerei mein Auskommen zu finanzieren, meine Angestellten, Miete und Energie zu bezahlen und leiste mir mit der Verbreitung von Veganem ein teures Hobby. Andererseits weiß ich, was den Planeten vernichtet: Massentierhaltung etwa. In Norddeutschland werden Schweine auf mehreren Etagen gezüchtet. Wahnsinn. Ich mache die Leute auf leckere Alternativen aufmerksam. 

Als Jugendlicher suchten Sie laut Ihrer Homepage nach einem Beruf, den Sie mit Leidenschaft ausüben wollten. Nach einem Metzgerei-Praktikum, war der Job gefunden. Sie begannen leidenschaftlich Tiere zu töten?

Ich war in den drei Wochen Praktikum nie auf dem Schlachthof. Von Anfang an gefiel es mir aber, aus dem Material  Fleisch etwas  Gutes zu machen. Heute sage ich, es war blauäugig, das lag vielleicht am Alter – ich hatte bis dahin nie mit dem  Tod zu tun -, und daran, dass ich froh war, trotz Lehrstellenmangels eine Stelle gefunden zu haben. Natürlich musste mir klar sein, dass ich auch Tiere töten würde müssen. Nach einem halben Jahr Ausbildung musste ich mit auf den Schlachthof. Danach wollte ich aufhören. Ich habe weitergemacht. Wohl eine Mischung aus Gruppenzwang, Scham zu versagen und vielen Männern, die dir jeden Tag das Nötige um die Ohren hauen. Ich habe mich, so oft es ging, ums Schlachten gedrückt. 

Stumpft man ab?

Schon nach ein paar getöteten Tieren. Ich habe mir später immer Betriebe gesucht, die sich beliefern ließen, eben nicht selbst schlachteten. Heute sind aus dem Metzgerberuf drei Berufe geworden: Schlachter, Wurstmacher und Verkäufer. 

Wer Fleisch verkauft, sollte selbst auch schlachten?

Das wäre konsequent, aber ich habe das für mich kategorisch abgelehnt. Folglich dürfte ich kein Fleisch verkaufen.

Sie hätten die Branche wechseln können…

Nach zehn Jahren wurde mir klar: Ich muss mich spezialisieren, wenn ich nicht ewig mit Gummistiefeln in der Wurstküche stehen will. Ich wollte aber machen, was ich gut konnte und nicht wieder an den Anfang gespült werden. Damals gab es noch kein „vegan“. 

2013 begannen Sie zu experimentieren, wie man Wurst- und Fleischimitate herstellen kann.

Ein Freund gab mir eine Sojaplatte, die ich in Gemüsebrühe einweichen, würzen, mit Ei-Ersatz panieren und in der Pfanne braten sollte. Ich schmeckte kaum einen Unterschied zum Fleisch-Schnitzel. Ich entwickelte Produkte aus Weizeneiweiß, Maisstärke, Lupinen und anderen Hülsenfrüchten. Ein Kunde vermisste seine Blutwurst. Bekam er: Aus schwarzen Linsen mit Tofuwürfeln, den „Speckwürfeln“ – Blutwurst schmeckt ungewürzt nur nach dem Eisen im Blut. Ich entwickelte Leberwürste, Königsberger Klopse, Rindsrouladen, Rollbraten;  deutsche Standardküche. Auch vegane Schlachtplatte. Denn gerade an Weihnachten werden Kleinkriege ums Essen ausgefochten, Großeltern verstehen ihre Enkel nicht mehr. Was sollen sie für die Extrawürste kochen?   

Die Fleischerinnung sagt:  Wo Hackepeter drauf steht, muss Hackepeter drin sein und betont, das Fleischerhandwerk verarbeite „Erzeugnisse, die einen starken, direkten Naturbezug haben“. Ihre Produkte sind stark verarbeitet.

Wenn ich veganes Mett schreibe, dann versteht jeder, dass da nichts Tierisches drin ist. Auch mein veganer Sauerbraten schmeckt wie Sauerbraten, auch ohne Fleisch. Rohes Fleisch hat keinen Geschmack. Fleisch ist wie eine Matratze, auf die man Gewürze schmeißt und die man dann in den Mund schiebt; ein Grill erzeugt Röstaromen. Für die Matratze muss aber ein Tier herhalten. Ich kann auch Pflanzen so verarbeiten, dass sie ähnlich schmecken. Wegen den Namensproblemen verkaufe ich jetzt halt Hackepetra, Döner-Vleisch und Lebberkees.

Wie viel Prozent ihres Gesamtumsatzes machen sie mit Veganem?

Rund 20 Prozent. Davon etwa 90 Prozent online.

Ihr veganes Bistro lebte nur kurz. Die Überreste: 60.000 Euro Verlust. Waren Sie zu optimistisch?

Das hat nicht gefruchtet. Es gibt viele Kurzzeit-Veganer, die laut schreiend  missionieren und dann rückfällig werden. Die Klientel ist wankelmütig.

Die großen Wursthersteller Rügenwalder und Gutfried verkaufen nun auch Pflanzenwurst. Haben Sie Angst?

Nein. Die machen eher vegetarischen Wurst- und Fleischersatz. Da sind so viele Eier drin, die die Hühner massenweise legen müssen.

Wird Sie jemals die Fleischeslust wieder packen?

Auf keinen Fall.

 

Info:

Michael Spahn, 56, ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter, die andere Berufe ergriffen haben. In spätestens zehn Jahren wird er in Rente gehen und sucht schon einen geeigneten Nachfolger für seine Frankfurter Metzgerei. Spahn freut sich darauf, dann einiges von der Welt zu sehen. „Über 40 Jahre Metzger, davon 25 Jahre selbstständig. Wir haben nur geschafft.“