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DEN KROATEN VOM HALS

Das erste Mal. Welcher Mann erinnert sich nicht daran? Frustrierend, verwirrend, immer wieder von vorn angefangen. Nein? Ging’s leicht von der Hand? Vielleicht war es eine intime Situation zwischen Vater und Sohn, oder der Freund hat gezeigt, wie man sich den Four-in-Hand-Knoten, den halben und den vollen Windsor, den Pratt oder Manhattan um den Hals bindet. Das erste Mal eine Krawatte tragen – in der westlichen Welt wie eine rituelle Aufnahme in den Kreis der Männer. Als Symbol des Maskulinen gilt das Stück Stoff schon seit Jahrhunderten und muss sich von Frauen auch Mal den Namen „Schwanzverlängerung“ gefallen lassen. Die Frauen aber zogen sich, nach Gleichberechtigung strebend, ebenfalls im Lauf der Geschichte hin und wieder eine an: Um 1900 ließen sich gebildete Damen des Hochadels mit Krawatte in Kostüm und Herrenbluse fotografieren, in den Zwanzigern übernahm die emanzipierte Garçonne mit Bubikopf das Accessoire. Bestes Beispiel: Marlene Dietrich im Hosenanzug, die von Männern dennoch oder gerade deshalb umschwirrt wurde wie das Licht von den Motten. 

Wird die Krawatten-Marotte bald ausgerottet sein? Seit der Jahrtausendwende und besonders nach der Finanzkrise 2008, als die Banker mit ihrem Statusschlips unter Beschuss gerieten, wird sie im Berufsleben seltener getragen. 2016 verkündete selbst der Vorstandsvorsitzende von Bosch – ein Unternehmen mit Tradition -, die Krawattenpflicht abgeschafft zu haben. Andere Großunternehmen lockerten ebenfalls die Regel. Im Deutschen Bundestag mussten Schriftführer bereits zwei Jahre zuvor schon keine mehr tragen, die Mitglieder der 2015 in Griechenland gewählten Tsipras-Regierung traten mehrheitlich ebenfalls oben ohne auf. 

Sebastian Schwarz vom Fachmagazin TextilWirtschaft bestätigt die Entwicklung: „Wir stellen generell in der Mode eine Casualisierung fest. Hin zur Freizeitmode weg von steifen, allzu formellen Dresscodes.“ Die Garderobe im Job sei gelockert, mit Ausnahme von Banken, Kanzleien und Versicherungen. „Im Privatbereich ziehen die meisten Männer Krawatten eigentlich nur noch zu festlichen Anlässen wie Taufen, Hochzeiten und Abschlussbällen an.“ Dass die Fliege zunehmend die Krawatte ablöse, kann Schwarz nicht bestätigen. Maximilian Mogg hingegen, ein junger Berliner Herrenausstatter und Instagrammer zählt zu einer neuen Nischenbewegung modisch interessierter Männer, die sich für altes Schneiderhandwerk und die passenden Krawatten interessieren. Die Seiden- oder Wollexemplare kosten in seinem Segment über 100 Euro, nicht zwischen 15, 30, höchstens 60 Euro, die der deutsche Durchschnittsmann bereit ist auszugeben, wie Schwarz sagt. Zwei bis drei Krawatten habe der Deutsche im Schrank. Wenn er sie schon tragen muss. Bald ist er vielleicht ganz davon erlöst.

Doch wie wird die Welt nur ohne Krawatten aussehen? Wenn nicht mal mehr Polizisten und Schalterbeamte das seriös wirkende Stück Stoff anziehen werden – auch wenn sie stets nur zum Anklippen war, damit kein Kunde ihnen den Hals abschnüren konnte. Wenn Tagesthemen-Sprecher Ingo Zamperoni nicht mehr mit seiner schmalen Variante vom Bildschirm den Ton angibt. Wird Respekt verloren gehen? Werden Männerbäuche ein Hingucker, wenn sich keine Vertikale im Vordergrund streckt? Es gibt was zu verlieren: Das vielleicht nutzloseste Kleidungsstück überhaupt.

Die Geschichte der Krawatte beginnt offiziell in Europa zur der Zeit des französischen Königs Louis XIIII., um 1650. Schick findet er, Überlieferungen zufolge, das vor Schloss Versailles anlässlich einer Parade aufmarschierende kroatische Reiterheer: Die Reiter tragen Stoff in Form einer Rosette am Kragen. Das französische Wort Cravate soll auf „à la cravate“ – „nach kroatischer Art“ – zurückgehen. Louis beschäftigt bald einen eigenen Cravatier zur Pflege seiner Krawatten. Dass geknotete Halsbinden und Schleifen schon bei den alten Römern sowie deutschen und französischen Soldaten im 30-jährigen Krieg en vogue waren… egal. Bald ziehen sich immer mehr Männer eine Krawatte an, fügen Bänder aus Spitze und Seide hinzu.

Während der französischen Revolution 1789 bis 1799 wird die Binde zum Politikum: Der Adel trägt weiße aus Seide, bei den Proletariern ist sie bunt und aus Baumwolle; bei den Revolutionären der deutschen Märzrevolution fünfzig Jahre später ein roter Halstuch. Im Laufe der Jahrhunderte verbreitet sich der Trend auf allen Kontinenten, vor allem  reiche und modebewusste Männer lieben ihr meist einziges Accessoire, anhand dessen sie ihre Individualität ausleben können. Die richtige Bindetechnik wird wichtig, 32 Knoten erklärt der französische Adelige Saint Hilaire 1827 in seinem Werk ausführlich- heute gibt es mehr als 180. Künstlern und Freigeistern ist die Krawatte damals egal. 

Die industrielle Revolution verändert in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Textilbranche, die Krawatte wird zweckmäßiger: länger, schmaler. „Regate“, heißt der Stil. 1926 hat der New Yorker Jesse Langsdorf die Idee, sie diagonal zur Webrichtung, quer über den Stoff zuzuschneiden, und aus drei Teilen zusammenzusetzen. So behält sie ihre Form – die Geburt der Schrägstreifen. Mit den Jahrzehnten verändert sich die Krawatte immer wieder: Mal muss eine Handbreite zwischen Spitze und Gürtelschnalle liegen, dann muss sie genau dort enden, mal ist sie breiter, mal schlanker, mal triumphiert die Strickkrawatte, mal schimmernde Stoffe, mal die gefleckte Kuh drauf… Zur Zeit ist schmal, kürzer, matt und einfarbig angesagt. Und der Four-in-Hand-Knoten. Er ist benannt nach den einfach gebundenen Halstüchern der Kutscher des 18. Jahrhunderts in London, zum Schutz vor Wind und Nässe. „Four in hand“, weil meist vier Pferde angespannt waren, sie also vier Zügel in der Hand hatten. Er ist schlank, leicht asymmetrisch, länglich und passt zu sportlich-lässiger Kleidung. Das Beste: für Anfänger geeignet und kombinierbar zu fast allen Krägen.

Claus Kleber – der schwäbische Krawattenstyler

In Deutschland hat sich im vergangenen Jahrhundert die Stadt Krefeld am Niederrhein zur Krawattenmetropole emporgeschwungen. Dort kannte man sich eh mit teurer Seide aus. Seit 1965 kürt das dortige Krawatteninstitut jedes Jahr den stilvollsten Krawattenträger: 2017… Tataaaa! Nein, nicht Halbitaliener Ingo Zamperoni – es war Schauspieler und Münster-Tatort-Ermittler Jan-Josef Liefers. Im Jahr zuvor schaffte es Torwart Manuel Neuer und immerhin im Jahr 2010 Zamperonis Pendant bei der ZDF-Konkurrenz: der gebürtige Reutlinger Claus Kleber. Ein Schwabe mit Style.