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LÜGEN AUF BESTELLUNG

Nennen wir ihn Robert. Robert hat sich verguckt. Mehrmals in dieselbe. Nennen wir es Affaire. Mit dieser will er Zeit verbringen. Seine Frau darf natürlich nichts erfahren. Er meldet sich bei Stefan Eibens Alibi-Agentur. Dringend brauche er ein freies Wochenende, eine Einladung für einen Kurs, ein Seminar, einen Nachweis für seine Frau, dass er nicht da sein könne. Alsbald steckt in der Hauspost eine offizielle Einladung mit Programmablauf, Werbematerial, Kursbestätigung. München. Da wollte er mit seiner Geliebten hin. Der Mann muss sich nicht schwitzend und rotwangig in Ausreden verheddern, die Tatsachen liegen ja auf dem Tisch. Auf dem in der Küche. Auch eine Kontaktnummer ist angeben. Er bucht hinzu, dass die Kontaktdame zu Hause anruft, um noch etwas zum Kurs ausrichten zu lassen. Stefan Eiben: „Das weckt garantiert keinen Zweifel, den Kurs glaubt sie h-u-n-d-e-r-t-p-r-o-z-e-n-t-i-g. Sie hat ja selbst davon gehört.“

Eiben ist 43 und in seinem beruflichen Vorleben war der Bremer, der heute in Spanien lebt, Systemadministrator. Seit 17 Jahren betreibt er seine Alibi-Agentur und wirbt auf seiner Homepage im Maßanzug für maßgeschneiderte Lösungen. „Stefan Eiben, der moderne Freiheitskämpfer für Freiräume und Toleranz“, so der Slogan, verspricht mit seinem Handvoll großen Stammteam und den etwa tausend freien Mitarbeiter in Deutschland, Österreich und der Schweiz „wasserdichten Schutz für Stunden, ein Wochenende, einen Urlaub oder Jahre“ und sich „nicht mehr rechtfertigen zu müssen“. Er nennt es „Freiheits- Flatrate“. Die Nachfrage sei gleichbleibend gut mit rund 1000 Aufträgen im Jahr. Lügen sind gefragt. Bei Männern und Frauen. 47 Prozent sind Kundinnen. Die Gründe sind die gleichen wie bei Männern.

Strohmänner, fingierte Anrufe, virtuelle Freunde

In seinem Portfolio steckt alles, was ein Alibi braucht: Strohmänner, fingierte Anrufe oder Einladungen, virtuelle Freundinnen oder Freunde – sogar das Angebot, jemand mit einem Lügendetektor nach Hause kommen zu lassen. Für den eifersüchtigen Gatten – klar, die Fragen sind vorher abgesprochen. Die Agentur rettet aus Terminen, Dates und anderen Verabredungen. Dann ruft jemand an.

Lügen versteht Eiben als Dienstleistung für Profis. Er kann sich aktuell keinen schöneren Beruf vorstellen. „Es war von Anfang an fantastisch.“ Er bekomme so viel zurück. „Wem passiert es schon in seinem Job, dass ständig jemand danke sagt?“ Schauspieler lässt er in unterschiedliche Rollen schlüpfen. „Manche kommen direkt von der Schauspielschule und sehen es als super Praxisarbeit an, zum Beispiel die Freundin zu spielen, die bei den Eltern des Kunden auf der Couch sitzt oder ihn zu Familienfeiern begleitet“. Weil der die lästigen Nachfragen nach der Liebe satt hat. Oder schwul ist. „Mancher will sich erst outen, wenn er ausgezogen ist.“ Menschen würden so nicht mehr gehänselt, müssten nicht mehr ständig aufpassen, könnten wieder schlafen. Ehen würden gerettet.

Entstanden ist die Idee, anderen ein Alibi zu verschaffen eines Abends, als Stefan Eiben, vom ersten Freund, dann vom zweiten versetzt wurde. Beide fügten sich dem Wunsch der Partnerin, den Abend mit ihr zu verbringen. Das hat den damals Anfang Zwanzigjährigen so aufgeregt, dass er nachts noch eine Alibi-Seite baute und später mittels Online-Kleinanzeigen dafür warb.

Der Auftragslügner sieht sich als „Freiheitsmanager“, „und wenn es ein Jahre langes Doppelleben ist“. Hauptsache, die Kunden könnten wieder frei über ihre Zeit verfügen. „Es liegt oft an Dritten, die gängeln, oder am Umfeld, das mit deren Situation nicht zu Recht kommt.“ Die Escortdame, deren Job der neue Freund nicht verdauen könnte, der Schwerkranke, der regelmäßig kurzfristig im Job ausfällt und ins Krankenhaus muss – „da haben wir uns schon ein Engagement bei der Feuerwehr für ausgedacht“. Oder der Mann, der kein schlechtes Gewissen haben will, wenn seine Frau am Wochenende mit den Kindern zu Hause sitzt und er auf einer LAN-Party Computerspiele zockt. „Da heißt‘s am Telefon: Ich muss mal raus, habe die ganze Woche gearbeitet, aber wenn meine Frau das wüsste…“; Oder die Frau, die mit ihrer Freundin ein Wochenende verbringen will, aber einen eifersüchtiger Mann im Nacken weiß; oder die Exfreundin, die ihren Hund während ihres Urlaubs vorbei bringen mag, was die neue Freundin nicht toleriert, obwohl er nicht auf die Exfreundin sondern seinen alten Hund aufpasst. „Dann bringt ihn halt eine ,alte Bekannte‘.“ Ganz typisch: Zwei Geschäftsführer, einer davon Workaholic ohne Verständnis fürs Familienleben des anderen. „Da gibt’s ein Alibi für Auslandsgeschäfte.“

Wo beginnt das Lügen? Ein „Fritz-X“ schreibt in einem Internetforum: „Zu lügen bedeutet, im Privaten oft einfach nur den Bedürfnissen eines anderen entsprechen ohne die eigenen zurücknehmen zu wollen.“ Man könne etwas tun, womit jemand, den man nicht verlieren mag, wenn er es wüsste, nicht einverstanden wäre. Und Eiben hält es mit dem Philosophen Bertrand Russell, wenn er Moralisten kritisiert: „Leute, die sich jedes Vergnügen versagen, außer jenes, sich in das Vergnügen anderer Leute einzumischen.“

18 Prozent der Kunden suchen Eiben zufolge ein Alibi für eine Affäre, 82 Prozent für etwas anderes: „Vor allem an Silvester und Weihnachten häufen sich die Aufträge. Die Leute sind bei mehreren Menschen gleichzeitig eingeladen, wollen aber niemand mit ihrer Absage vor den Kopf stoßen. Oder der Geschäftspartner erwartet, dass man seiner Einladung folgt. Den will man nicht verlieren.“ Ein Bestseller sind Grüße auf Bestellung, für 17 Euro. „Wir senden dem Kunden eine Postkarte zum

Ausfüllen mit einem Rückumschlag und werfen sie in London, Bali oder Honolulu ein.“ Manche überraschen damit ihre Kollegen am Arbeitsplatz. Oder die Liebste: „Für dich ist mir kein Weg zu weit“, steht dann da, abgestempelt in Paris. Und auf Facebook stellt die Agentur Fotos des Kunden. „auf dem Roten Platz in Moskau, bei der WM in Brasilien…“ Ein Foto genügt, passender Hintergrund wird montiert.

Eiben hat eine soziale Ader. Jeder soll sich seine Dienste leisten können. „Eine fingierte Freundin als Begleitung gibt’s einmalig ab 49 Euro, ein Doppelleben für monatlich 300 Euro.“ Treue wird belohnt. Ein permanentes Doppelleben rechnet sich auf die Dauer mit bis zu 50 Prozent Rabatt. „Das Aufwendigste ist die Einarbeitung für die Schauspieler. Dann läuft viel es automatisch.“ Für einen Kunden managt die Agentur seit zwölf Jahren ein Doppelleben, erfand sogar eine Firma. Der Kunde weiß auch, welche Fehler er vermeiden muss: Tachostand anpassen, ins Solarium gehen nach einer „Reise“, Tennis gespielt hat man nur, wenn die Klamotten schmutzig sind, wenn man in München war, sollte kein Strafzettel aus Stuttgart ins Haus flattern, Kleidung immer wechseln – Geruch ist kein Komplize.

„Dann lächelt einen plötzlich jemand an…“

Gibt es Grenzen für Alibis? „Für alles, was illegal ist. Etwa, wenn jemand beim Blitzen nicht am Steuer gesessen sein will.“ Skrupel plagen Eiben nicht. „Wir haben es nicht mit Aufreißern zu tun. Unsere Kunden bezahlen dafür, es steckt ein ernster Grund dahinter. Den ich oft nachvollziehen kann. Wenn jemand nach 30 Jahren Ehe klagt: Zu Hause erschlägt mich nur noch Kälte, ich höre kein „Wie war dein Tag“ mehr. Dann lächelt einen plötzlich jemand an…“

Und der Lügenbaron Eiben? Wie ist’s bei ihm zu Hause? Kennt ja alle Tricks. „Wenn ich flunkern soll, bekomme ich die normalen körperlichen Symptome, werde rot, schwitze.“ Eh unnötig. „Dürfte ich meine Meinung nicht frei äußern, wäre meine Freundin nicht meine Freundin.“